Als wir uns im Herbst 2016 gegründet haben, war noch gar nicht absehbar, wo wir in ein paar Jahren einmal stehen würden. Es ging vor allem erstmal darum, überhaupt eine Demonstration mit einer Kundgebung zu organisieren, die den Namen CSD verdient. Uns war es wichtig, von Anfang an nicht von kommerziellen Interessen geleitet zu sein. Stattdessen wollen wir die Interessen der queeren Community aus Bremen & Bremerhaven sinnvoll bündeln und ihr Sichtbarkeit geben.
Im Laufe der Jahre mussten wir einige Entscheidungen treffen. Vieles davon klingt nach rein organisatorischen Fragen, doch es zeigt sich immer wieder, dass auch viele organisatorische Fragen hoch politisch sind. Es macht einen Unterschied, aus welchen Personen sich die Security einer Abschlussveranstaltung zusammensetzt, ob alle Toiletten für alle Gender offen sind oder ob eine politische Partei Redezeit auf der Kundgebung bekommt.
Nach vier erfolgreichen Bremer CSDs können wir sagen: Wir haben einige Grundsätze entwickelt, die sich durch die Entscheidungen der letzten Jahre ziehen.
Wir wollen transparent handeln und wir möchten in unseren Entscheidungen verstanden werden. Im Team decken wir nicht alle Dimensionen erfahrener gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ab. Deshalb ist es uns auch wichtig, über unsere Grundsätze öffentlich zu sprechen. Über die Annahmen, die hinter diesen Grundsätzen stehen und über die Sprache, mit der wir darüber reden. Um Feedback zu bekommen und unser Handeln zu reflektieren und daran zu arbeiten, wenn wir doch auf dem falschen Weg sind.
Wir wollen eine Plattform für die queere Community aus Bremen, Bremerhaven & umzu sein. Es gibt bereits viele Initiativen, Gruppen und Vereine, die wertvolle Arbeit für queere Menschen leisten. Als CSD-organisierender Verein wollen wir mit der jährlichen Demonstration und mit der Kundgebung Sichtbarkeit schaffen, wie es einzelnen Initiativen sonst kaum möglich ist.
Damit die jährliche Demonstration sinnvoll ist, muss den Menschen in unserem Team selbst klar sein, wo überall gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wirkt und wie wir darüber aufklären können. Wo möglich, wollen wir uns auch zwischen den jährlichen Demonstrationen für queere Menschen einsetzen und die Öffentlichkeit aufklären.
Wir respektieren und sind dankbar für die Arbeit anderer queerer Initiativen, ohne die der CSD Bremen in der Form nicht existieren könnte.
Um unsere Vision mit Leben zu füllen, haben wir unseren Verein gegründet. In unserer Satzung schreiben wir, warum:
Zwecke des Vereins sind die Förderung der Erziehung und der Volksbildung sowie die Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten, der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens.
- §2 Abs. 1 der Satzung des CSD Bremen e. V.
Wir schreiben auch, wie wir das erreichen wollen. Auszugsweise:
Der Verein verfolgt diese Zwecke insbesondere durch
a. Information und Aufklärung zu den Lebensbedingungen von gesellschaftlichen Minderheiten, insbesondere [ . . . ]
b. Einflussnahme auf das kulturelle, politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben durch Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit mit Hilfe von Informationsständen, Herausgabe von Publikationen und ähnlichen Aktionen.
c. Durchführen von kulturellen Veranstaltungen oder Demonstrationen, insbesondere eines Christopher Street Days (CSD/Pride), um die in der Öffentlichkeit bestehenden Vorurteile und Diskriminierungen [ . . . ] abzubauen und die volle rechtliche Gleichstellung dieser Gruppen in allen Bereichen des Lebens zu fördern;
d. solidarische Unterstützung für Menschen aus den unter a. genannten Gruppen;
e. Unterstützung und Empowerment für Menschen und ihre Familien in Zeiten der sexuellen oder geschlechtlichen Selbstfindung.
- §2 Abs. 2 der Satzung des CSD Bremen e. V.
Die Reihenfolge unserer Grundsätze soll nichts über Priorität aussagen. Die Reihenfolge ergibt sich vor allem daraus, dass manche Grundsätze auf anderen aufbauen und das Verständnis so leichter ist. Manche Punkte brauchen etwas mehr Erläuterung als andere Punkte - aber die reine Textlänge soll nichts zur Bedeutung der Punkte sagen.
Wir benennen außerdem zuerst, was wir nicht möchten und machen dann deutlich, wovon wir mehr möchten.
Queere Menschen erleben im Alltag Diskriminierung. Darüber wollen wir aufklären.
Wir sind selbst in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der Diskriminierung jeden Tag stattfindet. Deshalb ist uns bewusst, dass auch wir diskriminieren. Gerade deswegen versuchen wir, so frei von Diskriminierung wie möglich miteinander zu arbeiten und laufend an uns zu arbeiten.
Es gibt zu viele Dimensionen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit - eine nicht vollständige Aufzählung in zufälliger Reihenfolge:
Gewinnabsichten verschieben die Prioritäten bei der Organisation: Wenn Geld verdient werden muss, müssen Menschen mit Geld angesprochen werden und ihnen muss etwas verkauft werden. Zum Beispiel die Mitfahrt auf einem Demo-LKW gegen Geld. Gerade Menschen, die Diskriminierung erfahren, haben aber häufig auch weniger Geld.
Solche kommerziellen Überlegungen stehen unseren eigentlichen Zielen im Weg. Deshalb möchten wir keinen Kommerz.
Wir erlauben keinen Verkauf von Tickets für die Teilnahme an einem LKW. Auch nicht über Umwege durch einen Mindestverzehr von Getränken oder ähnlichem.
Wir möchten uns nicht abhängig von Sponsoren machen. Wir möchten bei unseren Forderungen nicht darauf achten müssen, dass wir unsere “Geldgeber” behalten.
Zu unseren Gedanken und Wünschen rund um unsere Finanzierung haben wir letztes Jahr auch einen eigenen Artikel geschrieben: Wie finanziert sich der CSD Bremen?
Wir übernehmen bewusst eine Rolle im demokratischen System der Bundesrepublik Deutschland. Als solches distanzieren wir uns von physischer oder psychischer Gewalt.
17.07.2021, Ergänzung: Unterm Regenbogen ist Platz für alle. Auch für Fetischgruppen. Auch beim CSD Bremen. Wir melden uns später mit einer Erklärung.
18.07.2021, Ergänzung: Wir haben dazu heute eine Pressemitteilung herausgebracht und werden diesen Grundsatz noch umformulieren: Pressemitteilung #38: Fetisch beim CSD Bremen
18.07.2021, Ergänzung #2: Wir haben jetzt Fetisch durch Sex ersetzt. Wir entschuldigen uns dafür, dass wir zwei Sachen in einen Topf geworfen haben, die zwar Überschneidungen haben, aber nicht das Gleiche bedeuten.
Wir wollen über die Probleme von queeren Menschen in der Gesellschaft aufklären.
Wir wollen nicht bewerten, wessen Probleme größer oder kleiner sind. Aber das Darstellen von Sex in der Öffentlichkeit finden wir nicht hilfreich, wenn wir bei der gleichen Demonstration und Kundgebung über Themen wie Asylrecht, Trans*Recht oder queere Krankenversorgung sprechen möchten. Gerade bei sexuellen Handlungen stellt sich zusätzlich das Problem, dass das Publikum nicht einwilligen kann (fehlender Konsens im Sinne von Safe, sane, consensual).
Ganz zu schweigen davon, dass die Sexualisierung von Frauen* im Allgemeinen und Minderheiten im Besonderen problematisch genug ist.
Der CSD ist eine Demonstration für Menschenrechte. Wir mögen es auch, die bisher erreichten Erfolge zu feiern und das auch auf einer Abschlussveranstaltung mit der Community zu tun. Aus unseren anderen Grundsätzen ergibt sich aber, dass wir an eine offizielle Abschlussveranstaltung zum CSD Bremen besondere Anforderungen haben.
Wenn wir mit unserem Namen dafür stehen, sollen sich die Besuchenden auch darauf verlassen können, dass die Veranstaltung so diskriminierungsfrei und barrierefrei wie möglich ist. Zu den möglichen Barrieren zählt für uns auch ein zu hoher Eintrittspreis und zu hohe Getränkepreise (Prinzip: kein Klassismus).
Unserem gemeinnützigen Zweck entsprechend wollen wir über das Leben queerer Menschen aufklären. Dazu gehört auch die Erfahrung von Diskriminierung und die Probleme, die daraus entstehen. Für diese Aufklärungsarbeit brauchen wir keine Redebeiträge oder Infostände von politischen Parteien auf unserer Kundgebung.
Wir möchten stattdessen queere Menschen zu Wort kommen lassen und ihnen Sichtbarkeit geben. Gerade mehrfach diskriminierte Menschen wie z. B. queere People of Color (PoC) oder behinderte Lesben bekommen schon zu wenig Sichtbarkeit in der Gesellschaft und im öffentlichen Diskurs.
Die Demonstrationen zum Christopher Street Day erinnern historisch an die Stonewall Aufstände von 1969 gegen Polizeiwillkür. So sehr es auch Erfolge in der queeren Bewegung zu feiern gibt und so sehr wir auch fröhlich demonstrieren können - so sehr müssen wir auch bedenken, dass es noch immer viele Probleme gibt. Diese Probleme und Forderungen wollen wir noch stärker in die Öffentlichkeit bringen, damit es besser wird.
Konkrete Inhalte und Themen gibt es viele. Beispielhaft seien genannt:
Als CSD-Verein organisieren wir hauptsächlich die jährliche CSD-Demonstration. Mit der Demonstration richten wir uns an die Öffentlichkeit und möchten über unsere Inhalte und Forderungen aufklären. Dieses Prinzip wollen wir fortführen und insgesamt mehr Kommunikation herstellen:
Damit das miteinander reden funktioniert, ist es wichtig, dass die Medien und die Öffentlichkeit sinnvoll über unsere Inhalte berichten. Es passiert noch zu oft, dass eine CSD-Demonstration als “Karneval” bezeichnet wird, ohne auf die gesellschaftliche Relevanz einzugehen.
Die Presselandschaft selbst muss sensibler dafür werden, wenn sie gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wiedergibt.
Das Grundgesetz bildet die Basis für das demokratische Leben in Deutschland. Wir bekennen uns klar zum Grundgesetz und nehmen unsere Aufgabe als gemeinnütziger Verein im öffentlichen Leben in Deutschland wahr.
Wir respektieren das politische System der Bundesrepublik Deutschland, lehnen Extremismus ab und möchten alle Menschen an Artikel 1 unseres Grundgesetzes erinnern:
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
- Artikel 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Die aktuelle Zusammenarbeit von katholischer und evangelischer Kirche und dem deutschen Staat trägt nicht der Tatsache Rechnung, dass die katholische und die evangelische Kirche jahrtausendelang gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gegen queere Menschen produziert hat.
So gut das Grundgesetz ist: Wir müssen als Gesellschaft anerkennen, dass die Vermischung von Kirche und Staat seit langer Zeit dazu führt, dass Menschen von den deutschen Kirchen diskriminiert werden.
Wir fordern die Kirchen auf, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten und durch Regelungen wie das kirchliche Arbeitsrecht nicht noch mehr Menschen zu diskriminieren.
Hinter vielen Problemen queerer Menschen steckt ein großer gemeinsamer Nenner: Es gibt noch viel zu wenig Verständnis bei viel zu vielen Menschen darüber, wie viele romantische, sexuelle und geschlechtliche Identitäten es gibt.
Die UNO hat 2006 die UN-Behindertenrechtskonvention verabschiedet. Deutschland hat sie vor über zehn Jahren am 24. Februar 2009 unterschrieben. Auch wir sehen uns menschlich dazu verpflichtet, sie in unserer Vereinsarbeit umzusetzen.
Wir orientieren uns insbesondere an der Definition von Behinderung aus Artikel 1:
Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.
- Artikel 1 UN-Behindertenrechtskonvention
Aus Artikel 3 (Grundsätze) ergibt sich außerdem die Barrierefreiheit als Menschenrecht, das auch wir so gut wir es können umsetzen wollen.
Das Wort Intersektionalität bezeichnet die Tatsache, dass sich aus der Kombination von mehreren Eigenschaften, die diskriminiert werden, wiederum völlig neue Erfahrungen der Diskriminierung ergeben.
Als Beispiel:
Intersektionalität gibt es in vielen Bereichen, z. B. queere People of Color (PoC) oder bisexuelle Frauen.
Die queere Community ist vielfältig und besteht aus vielen unterschiedlichen Menschen. Wir müssen solidarisch füreinander kämpfen. Wenn es weniger Diskriminierung gegen die eine Gruppe gibt, hilft das auch Menschen, die nicht direkt zu dieser Gruppe gehören.
Es gibt bereits viele queere Vereine, die wertvolle Arbeit für queere Menschen leisten. Wenn wir durch unsere Aufklärung bessere Bedingungen für diese Vereine schaffen, helfen wir damit auch allen queeren Menschen.
Wir befürworten das Konzept von Städtepartnerschaften, international für mehr Verständnis und Austausch zwischen den Menschen zu sorgen. Als eine Plattform für queere Menschen aus Bremen und Bremerhaven folgt für uns, dass wir die Städtepartnerschaften um eine queere Perspektive erweitern. Aus Solidarität mit queeren Menschen auf der ganzen Welt demonstrieren wir in Bremen & Bremerhaven auch für Menschenrechte auf der ganzen Welt. Aktuelle Entwicklungen wie in Polen zeigen, dass wir hier nie genug tun können.
In allen Prozessen des Zusammenlebens ist es wichtig, sein eigenes Verhalten zu Reflektieren und darüber nachzudenken, wo man selbst anderen Menschen (unbewusst) geschadet hat und was man in Zukunft besser machen kann.
Letztlich wollen wir dem Einzelfall möglichst gut gerecht werden und die Menschenrechte stärken, indem wir über Probleme von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aufklären. Menschen sind vielfältig, lasst uns das als Gesellschaft würdigen und feiern.
Wenn du unsere Arbeit gut findest und uns unterstützen möchtest, freuen wir uns über Spenden. Wenn du vielleicht sogar selbst im Team mitarbeiten möchtest, melde dich gerne per E-Mail an info@csd-bremen.org. Wir freuen uns auch immer über Kooperationen oder gemeinsame Aktionen mit anderen Gruppen oder Vereinen, die an gemeinsamen Themen arbeiten.
Unter dem Account "Webredaktion" schreiben verschiedene Autor:innen Texte für unsere Website.
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