Interview mit Polizeipräsident Dirk Fasse und LSBTIQ*-Beauftragte Julia Koopmann // „Ich stehe dafür ein, die Rolle rückwärts zu verhindern. Die offene und queere Gesellschaft ist aus meiner Sicht alternativlos.“ - Interview mit Dirk Fasse (61), Polizeipräsident Bremen, und Julia Koopmann (44), LSBTIQ-Ansprechpartnerin der Polizei Bremen


Der CSD findet in diesem Jahr unter dem Motto: „The first Pride was a riot!“ statt. Bereits im Vorfeld der Motto-Findung waren wir mit der Polizei Bremen aufgrund verschiedener Themen im Austausch. Neben Sicherheitsthematiken ging es hier auch um die Rolle der Polizei am Tag der Demonstration. Wie umgehen mit queeren Polizist*innen, die am Tag der Demonstration ebenfalls mitlaufen wollen? Wie umgehen mit der Institution der Polizei, die bei Teilen der Community in der Kritik steht? Wie umgehen mit der Frage, ob und wie das Motto sich mit einer Teilnahme der Polizei beißt?

Innerhalb der Bekanntgabe unseres Mottos haben wir Stellung zu einigen dieser Fragen bezogen. Für unsere Positionen haben wir sowohl Verständnis und Anerkennung als auch deutliche Kritik erfahren. Die Frage nach der Rolle der Polizei ist für viele Menschen bedeutsam wie emotional und wir müssen anerkennen, dass Kompromisslösungen kaum gefunden werden können – von einem Konsens ganz zu Schweigen.

Wir haben uns dafür entschieden, dass Polizist*innen in Uniform aber ohne Waffen an der Demonstration teilnehmen dürfen. Ebenfalls haben wir uns dafür entschieden, das Gespräch mit der Institution der Polizei zu suchen und auf aktuelle Problemlagen innerhalb der Gesellschaft aufmerksam zu machen.

Im Zuge dieser Gespräche sind wir auf Beamt*innen gestoßen, die sich unsere Belange angehört haben und offen für unsere Themen gewesen sind. In einer Welt die sich zunehmend radikalisiert und in der Fälle von Gewalt und Diskriminierung gegenüber LGBTIQA+ vermehrt auftreten, haben wir uns über die Gesprächsführung der Polizei uns gegenüber gefreut.

Dies soll nicht bedeuten, dass die Institution der Polizei von Kritik freizusprechen ist. Es gibt in Deutschland zahlreich dokumentierte Fälle von Amtsmissbrauch, Rassismus und andere Formen von Diskriminierung. Wir sprechen uns aus diesem Grund auch dafür aus, dass Deutschlandweit und insbesondere im Land Bremen mehr Ressourcen für Polizei- und Feuerwehrbeauftragte zur Verfügung gestellt werden. Diese gewährleisten eine unabhängige Überprüfung von Diskriminierungsfällen bei den Dienststellen.

Einen gemeinsamen Diskurs mit der Polizei halten wir aus allen oben genannten Punkten für wichtig. Wir halten es für wichtig diejenigen Polizist*innen zu bestärken, die sich bereits jetzt für unsere Belange einsetzen. Wir halten es für ebenso wichtig auf Problemlagen hinzuweisen. Wenn wir wirklich eine Plattform für große Teile der Community sein wollen, müssen wir die Gesprächsbereitschaft aufrechterhalten.


Für den CSD Bremen und Bremerhaven e.V. führten das Interview am 2. August 2023 Jermaine Greene, Pressesprecher CSD Bremen, und Sonja Höstermann, Pressesprecherin CSD Bremerhaven.

CSD: Wir freuen uns sehr, dass Sie sich die Zeit genommen haben, uns heute Rede und Antwort stehen. Welche Berührungspunkte hatten Sie in den vergangenen Jahren mit dem CSD in Bremen?

FASSE: Dass wir am CSD teilnehmen, ist bei uns fester Bestandteil unserer Identität. Als ein Ausdruck dafür gibt es auch dieses Jahr wieder ein passendes Schlüsselband. Eines aus den letzten Jahren ist rosafarben mit dem Spruch „Proud to be your friend“. Dieses CSD-Schlüsselband trage ich das ganze Jahr über. Ich trage es bewusst: Mit diesem Schlüsselband öffnet der Polizeipräsident die Türen.

KOOPMANN: Das Schlüsselband für den CSD in diesem Jahr hat den Spruch „Love needs no gender.“

FASSE: Genau das bringt es auf den Punkt. Damit ist alles gesagt. Auch dieses Band werde ich mit Stolz tragen. Es geht darum, respektvoll zu sein. Das muss ich intern genauso leben, wie nach außen. Wir stellen uns hinter das Thema CSD. Das ist ein starkes Signal nach außen, aber es ist auch ein starkes Signal nach innen. Das darf man nicht unterschätzen.

CSD: Herr Fasse, an Ihrem Verhalten können sich Polizist*innen orientieren und ein Beispiel nehmen. Würden Sie sagen, dass der CSD von den Beamt*innen mit gelebt wird?

FASSE: Ich würde sogar noch weiter gehen. Es geht nicht nur um den CSD, sondern um die Menschen in der Stadt, für die wir verantwortlich sind und deren Sicherheit. Es geht aber auch um die Menschen in meiner Behörde. Als ich in den 80er Jahren angefangen habe, war die Behörde eine reine Männergesellschaft, sogar Frauen gab es nur vereinzelt. Wir haben uns verändert und sind große Schritte in Richtung Diversität gegangen. Ich bin der Boss von 3150 Menschen. Auch bei uns ist Vielfalt und Buntheit das neue Normal. Ich begrüße diese Diversität. Innerhalb der Behörde ist - wie in der Gesellschaft auch - eine neue Kultur entstanden. Wir sind auch queer. Die offene und queere Gesellschaft ist aus meiner Sicht alternativlos.

Allein in den letzten vier Jahren haben wir über 1000 junge Menschen eingestellt. Das treibt uns natürlich auch an. Die müssen wir mitnehmen und Neues zulassen. Das verändert die Kultur innerhalb der Belegschaft natürlich mit einer hohen Dynamik.

“Wir haben auch eine queere Community innerhalb der Polizei.”

KOOPMANN: Wir sind eine queere Polizei und wir haben auch eine queere Community innerhalb der Polizei. Nach meinem Aufruf, beim CSD mitzulaufen, habe ich eine große Resonanz erhalten. Grundsätzlich melden sich die an der Teilnahme beim CSD-Interessierten, weil es eine wichtige Sache ist. Es ist egal, ob hetero, heteroflexibel, manchmal, nur im Urlaub. Egal. Wir sind eine offen lebende Community. Der CSD ist für uns sehr wichtig und deshalb laufen wir mit. Wir haben auch Führungskräfte dabei, die für ihre eigenen Mitarbeiter*innen mitlaufen. Gerade für unsere Studierenden ist es wichtig, in Uniform dabei zu sein. Die jungen Menschen möchten sich zum einen selbst zeigen, zum anderen aber auch zeigen, dass sie sich mit ihrem Arbeitgeber identifizieren. Und das ist eine schöne Botschaft.

CSD: Frau Koopmann, welche Aufgaben haben Sie und welche Erfahrungen haben Sie gemacht, seitdem Sie im Amt sind?

KOOPMANN: Zum einen versuche ich die Kontakte nach extern zu entwickeln und zu stärken, wie etwa zum Rat&Tat-Zentrum. Wir sprechen miteinander und tauschen uns aus. Mit dem Rat&Tat-Zentrum wird es demnächst Workshops geben, um angehende Führungskräfte zu schulen im richtigen Umgang mit Wording, mit trans*, mit inter* Personen. Ziel ist beispielsweise die Anzeigenaufnahme zu verbessern und verletzendes Verhalten oder negativ besetzte Begriffe zu vermeiden. Das ist ein wichtiger Lernprozess, dem wir uns stellen möchten.

Nach innen bin ich eine Art Knotenpunkt. Ich begleite und steuere diesen Prozess in die entsprechenden Abteilungen. Oft kommen die Leute auf mich zu und ich erfahre von vielen Themen, wie Regenbogenfamilien, oder wie trans* Menschen bei uns ihren Weg gestalten können. Beispielsweise geht es um die Sorge, nach der OP [Transition. Die Red.] die Dienststelle zu verlieren. Diese Nöte und Ängste kann ich mit ein paar Anrufen und Gesprächen nehmen und aktiv helfen. Auch Anfragen nach etwa einer Email-Adresse mit dem neuen Namen kann ich schon vor der offiziellen Namensänderung in die Wege leiten. Der Deadname wird ausgeschaltet, was ein wichtiger Schritt ist. Ich werde in meinem Amt sehr unterstützt, viele kommen auf mich zu und laden mich ein. Ich muss mich nicht einladen.

“Inzwischen wird diese Offenheit angefeindet. Dagegen müssen wir uns stemmen.”

CSD: Unser Motto dieses Jahr lautet: „The first pride was a riot!“. Die Geschichte von Stonewall ist eine Geschichte von queeren Menschen in der Christopher Street, die sich gegen Polizeigewalt in den USA aufgelehnt haben. Wie wird dieser Tag in diesem historischen Kontext wahrgenommen? Bemühen Sie sich um eine historische Aufarbeitung? Schauen Sie auch auf die Polizei in den USA?

FASSE: Die Polizeien unterscheiden sich, würde ich sagen. Nicht nur, was die Sicht auf den CSD oder die queere Gesellschaft angeht, sondern auch hinsichtlich der Gewaltausübung. Zugereiste Menschen haben beispielsweise ganz andere Erfahrungen in ihren Heimatländern mit der Polizei gemacht und übertragen das auf die Situation, die sie hier vorfinden. Das ist nicht immer deckungsgleich. Zum anderen ist das für mich sozusagen ein Kopf- und ein Bauchthema. Mein Kopf sagt, ich bin nicht dafür verantwortlich, was die Polizei etwa in Amerika macht. Im Bauch denkt man als Polizist oder Polizistin aber anders. Da ist auch ein Schamgefühl dabei.

CSD: Wie meinen Sie das?

FASSE: Zuletzt ist es mir persönlich so gegangen bei der Gewalttat gegen George Floyd. Danach gab es in Bremen Plakatierungen gegen die Polizei. Darauf kann ich reagieren, indem ich sage, ich habe Herrn Floyd nichts getan. Doch auf der anderen Seite hat man als Polizist und Polizistin hierfür ein Schamgefühl entwickelt. Ich hoffe, ich habe mich verständlich ausgedrückt. Das hätte ich woanders vielleicht nicht entwickelt. Jeden Tag bin ich froh, dass ich in der Demokratie hier in Deutschland lebe. Weil unser Grundgesetz viel Sicherheit und Freiheit bietet. Dafür, dass die queere Community den Art.3 GG erweitern möchte, habe ich Verständnis - und mich hätten Sie als ersten davon überzeugt -, aber trotzdem ist das Grundgesetz eine coole Basis.

Wichtig ist, dass die Polizei mit ihrem Gewaltmonopol verantwortlich umgeht. Dann können wir auf dieses Konstrukt als Gesellschaft zurecht stolz sein. Wir müssen alle alles dafür geben, dass das auch so bleibt.

CSD: Wir werden in diesem Jahr erneut fordern, den in Art.3 GG um das Merkmal „sexuelle und geschlechtliche Identität“ zu erweitern. Trotzdem sind wir froh, dass es diesen grundgesetzlich verbrieften Schutz vor Diskriminierung im Grundgesetz überhaupt gibt.

In unserem Statement zum diesjährigen Motto haben wir klar Stellung bezogen, dass die Polizei als selbstverständlicher Teil auf dem CSD dabei sein darf. Für diese Haltung wurden wir jedoch auch scharf kritisiert. Der Vorwurf ist, dass wir als Institution CSD die eigene Historie und die eigene Community verraten würden. Was möchten Sie diesen Kritiker*innen entgegnen?

FASSE: Was mich an dieser Kritik stört, ist, dass ich mich frage, wie sieht die gesellschaftliche Vision der Kritiker*innen aus? Wohin soll es mit der Veränderung der Gesellschaft gehen? Für mich hört sich das an, wie das Verharren im Alten, also dass die fundamentalistischen Gedanken aus der Vergangenheit um ihrer selbst willen weiter hochgehalten werden. Doch die Gesellschaft verändert sich, auch wir als Organisation Polizei haben uns verändert. Homosexualität war 1969 noch unter Strafe gestellt und es ist noch nicht so lange her, dass dies abgeschafft worden ist.

CSD: Der Paragraf §175 wurde 1994 aufgehoben und erst 1998 aus dem Strafgesetzbuch entfernt.

FASSE: Dafür haben Ihre Frontfrauen und Frontmänner erfolgreich gekämpft. Da sind wir nicht mehr. Das ist auch richtig so. Es ist immer wichtig, sich vor Augen zu führen, wo man herkommt, und die Gegenwart in diesem Licht zu bewerten. Wichtig ist aber auch der Blick nach vorn, den Stand weiterzuentwickeln, den die Polizei jetzt im Miteinander in der Gesellschaft hat, und keine Schritte rückwärts zuzulassen. Das wird in Zukunft immer schwieriger werden, glaube ich. Inzwischen wird diese Offenheit angefeindet. Dagegen müssen wir uns stemmen. Ich stehe dafür ein, die Rolle rückwärts zu verhindern.

Eigens eingerichtete Anzeigen-Aufnahmestelle für den CSD

CSD: Wenn wir auf den Tag der Demonstration schauen: Beamt*innen dürfen mitlaufen, begleitet vom bekannten Regenbogenbully. Doch wie werden diejenigen Kolleg*innen vorbereitet sein, die an dem Tag im Einsatz sind? Welche Maßnahmen treffen Sie für diesen Tag?

KOOPMANN: Es wird eigens am Tag des CSD in Bremen eine besondere Anzeigen-Aufnahmestelle geben. Für diesen Zweck richten wir eine Art Safe Space ein. Direkt am Wall 196 in den Räumlichkeiten des Präventionszentrums. Das sind angenehme Büroräume und haben von daher auch einen anderen Charakter als die Innenstadtwache. Alle, die 110 anrufen und beispielsweise einen Übergriff erlebt haben, werden sofort dorthin vermittelt. Kolleg*innen sind in zwei Schichten vor Ort - auch noch nach Ende der Kundgebung - und werden mit Ruhe und entsprechend sensibilisiert das Geschehene aufnehmen.

FASSE: Auf Anregung von Frau Koopmann wird es erstmals diese neue Anzeigenaufnahmestelle geben. Das ist wirklich neu. Ich finde das super.

KOOPMANN: Doch natürlich hoffen wir, dass die Kollegen bloß das bunte Treiben vor dem Fenster anschauen müssen und nichts passiert. Doch wir sind vorbereitet. Wenn was ist, dann sind wir da.

CSD: Danke, dass Sie für diesen Tag diese spezielle Anlaufstelle anbieten. Denn die Ängste vor Übergriffen sind natürlich da. Wir sind froh, dass wir mit unseren Ängsten und Sorgen gehört werden und dass Sie darauf eingehen, wissen wir sehr zu schätzen.

Innerhalb unserer Community gibt es Menschen, die grundsätzlich die Institution Polizei kritisch betrachten. Diese sehen sogar davon ab, einen etwaigen Übergriff anzuzeigen, weil sie Polizei als nicht vertrauenswürdig einstufen. Gerade queere BIPOC [Black, Indigenous, People of Color und bedeutet auf Deutsch Schwarz, Indigen und der Begriff People of Color wird nicht übersetzt. Die Red.] berichten immer wieder von Rassismus-Erlebnissen oder queerfeindlichen Erlebnissen mit der Polizei. Was können Sie da noch machen? Warum sollte Ihrer Meinung nach jemand eben doch Vertrauen in die Bremer Polizei haben?

FASSE: Ich beschreibe das immer als Weg. Als Gesamtorganisation müssen wir daran arbeiten und mit dem Management und mit der Belegschaft neue Schritte gehen. Dieser Weg ist nie abgeschlossen. Es ist Chefaufgabe, wie wir als Polizei wahrgenommen werden möchten. Das Entscheidende ist die Einstellung des Einzelnen und die muss ich als Präsident auch vorleben.

KOOPMANN: Wir sollten nicht immer von „wir“ und „die“ sprechen. Sondern vielmehr von „Wir alle“. Das möchte ich gern mit auf den Weg geben und die ablehnende Haltung zu überdenken. Ich bin auch ein Mensch hinter der Uniform. Es ist nur eine Uniform, keine Barriere. Ich wünsche mir, dass wir miteinander reden. Die meisten sind zur Polizei gekommen, weil sie etwas Gutes, etwas verändern und für Gerechtigkeit sorgen wollen. Ich auch. Es tut weh, wenn eine Gruppierung mir das abspricht.

Ich bin stolze Polizistin, aber auch stolzer Teil einer queeren Community. Ich möchte beides sein dürfen, mich nicht für das eine oder das andere entscheiden müssen. Ich bin Teilnehmerin dieser Demonstration. Wer mich an diesem Tag angreift, greift mich als queere Person an. Ich demonstriere für Liebe, Freiheit und Recht und bin stolz, bei der Polizei zu sein. Ich glaube, unsere Ziele sind gar nicht so weit voneinander entfernt. Es wäre schön, wenn wir aufeinander zugehen könnten.

FASSE: „Love needs no gender“ bringt es auf den Punkt. Es geht um Menschen. Wir feiern gemeinsam. Die einen arbeiten bei der Polizei, die anderen nicht. Uns auszugrenzen, wäre von daher irgendwie schräg, finde ich. Das würde ich mir jedenfalls nicht wünschen.

CSD: Vielen Dank für das Gespräch.

Geschrieben von:
Webredaktion

Unter dem Account "Webredaktion" schreiben verschiedene Autor:innen Texte für unsere Website.

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